Urban + Aboriginal XIV: Quasi Amazonia

16.09. – 01.10.2000
Haus der Kulturen der Welt
zusammen mit Festival Traditioneller Musik 2000

Das Spannungsverhältnis zwischen traditionellen und zeitgenössischen Kulturformen, zwischen Überlieferung und Neuschreibung regionaler Musik hat seit 1985 zentrale Bedeutung für die Durchführung des Festivals Urban + Aboriginal durch die Freunde Guter Musik Berlin e.V. Dabei geht es insbesondere darum, die Ambivalenzen sowie auch Kohärenzen innerhalb „neuer” und „ethnischer” Musik aufzuzeigen. Die regionalen und thematischen Schwerpunkte geben Ausschlag über die Auswahl der Künstler.
Impulse aus modernem städtisch – industriellen Umfeld und aus tradierten, vermeintlich archaischen, Kulturformen lassen die Kompositionen der Solisten und Ensembles jenseits bekannter und vertrauter Wege erscheinen und geben dabei ganz eigene experimentelle Antworten auf das Zusammentreffen hybrider musikalischer Ausdrucksformen in den Großstädten und traditionellen volksmusikalischen Stilen einer bestimmten Region.

In diesem Jahr haben nicht zuletzt die Feierlichkeiten rund um die Entdeckung Brasiliens vor 500 Jahren dazu beigetragen, das Amazonasgebiet als geographische Einheit mit weitgreifender kultureller Vielfalt zum Thema des Festivals Urban + Aboriginal 2000 zu machen. Doch dem Anliegen des Festivals zufolge wird ein neuer Umgang mit diesem Kulturraum gesucht. Die künstlerischen Arbeiten nehmen den Mythos und den Topos Amazonien zu Ausgangspunkt.
So wie sich dieser gigantische Fluß nicht als ein singuläres und homogenes Gewässer begreifen läßt, bilden die zahllosen am Amazonas lebenden zumeist indianischen Gemeinschaften ein nahezu grenzenloses Mosaik traditioneller Lebensformen. Das Vordringen industrieller Zivilisation in die Lebensräume der Eingeborenen des Amazonas hatte Konflikte und Spannungen zur Folge. Doch das solche Reibungen neue musikalische Ausdrucksformen hervorbringen können, sollen die eingeladenen Künstler verdeutlichen. Sie sind meist lateinamerikanischer Herkunft, leben aber heute in Großstädten Europas und Amerikas, weswegen die kreativen Reflexionen und Verfremdungen den modernen Musikformen, wie Jazz, verhaftet sind.  Ob als Konzert, Performance oder Klanginstallation: die Kultur der indianischen Völker bietet den Grundstock für die künstlerischen Arbeiten der Musiker. Dabei werden sowohl empirische Forschungsergebnisse als auch mythologisches Erzählgut in experimentelle und technisch gestützte Kompositionen eingebunden oder neu einbezogen.

Das musikalische Spiegelbild wird also kein traditionelles sein können, sondern eigene -global inspirierte- Sichtweisen der Künstler auf die Kulturen im Amazonasgebiet anbieten: gewissermaßen Amazonia. (Matthias Osterwold)

Amazonien, größer als Europa, ist die vielleicht unzugänglichste Region der Welt. Die „zahllosen“, indianischen Gemeinschaften bilden ein nahezu grenzenloses Mosaik traditioneller Lebensformen. Das Festival Traditoneller Musik 2000 gibt mit exemplarischen Performances, die zum Teil erstmals in Europa zu erleben sind, Einblick in die Musikkulturen am Amazonas. Indianische Zeremonien manifestieren den Kampf um kulturelle Autonomie, kaum noch bekannte afro-brasilianische Perkussionsformen markieren Ursprünge der weltbekannten Musik des Landes. Das Festival zeigt auch, wie sich die Musik des Hinterlands im Zusammentreffen mit der der Städte zu neuen, spannenden Stilrichtungen entwickelt. Zum anderen stellt „Amazonia“ in Kooperation mit „Urban + Aboriginal“ der Freunde Guter Musik Berlin e.V. Künstler vor, die den Mythos Amazoniens als Ausgangspunkt von kreativen Reflexionen und Verfremdungen aufnehmen. Sie setzen Bilder des geschichtlichen und gegenwärtigen „Zusammenpralls der Kulturen“ in Amazonien in zeitgenössische Klangwelten um: quasi Amazonia.

Sehnsüchte und Projektionen knüpfen sich an Amazonia: Seit Claude Levi-Strauss in seinem berühmten Reisebericht „Traurige Tropen“ die Besonderheit und Zerstörung der indianischen Kulturen beschrieb, steht Amazonia synonym für Gefährdung „authentischer“ Kulturen und Sehnsucht nach „Ursprünglichkeit“. Das Festival „Amazonia“ wendet sich in Konzerten und Performances diesem Konflikt von Tradition und Moderne zu. (Johannes Odenthal)

Projektteam:
Silvia Ocougne, Johannes Odenthal, Tiago de Oliveira Pinto, Matthias Osterwold, Vilém Wagner, Angelika Bueno Román

Eine Veranstaltung von Haus der Kulturen der Welt, Brasilianisches Kulturinstitut in Deutschland (ICBRA) und Freunde Guter Musik Berlin e.V.
Mit Unterstützung von Initiative Neue Musik Berlin e.V. und Botschaft der Republik Österreich sowie Sender Freies Berlin und Gesellschaft Traditioneller Musik Berlin.

Programm:

17.09.2000

MADALENA BERNARDES (Brasilien)
»Carusa in Manaus« – Stimmperformance
DAVID TOOP (Großbritannien)
»A Journey Sideways« – Vortragsperformance
SILVIA OCOUGNE & CHICO MELLO (Brasilien / Deutschland)
»Madeira – Mamoré, eine Straße nach nirgendwo« – Konzert

22.09.2000

LIVIO TRAGTENBERG, MARCELO BRISSAC (Brasilien)
»Bazulaques Brasileiros« – Musikstücke für vierhändiges präparietes Klavier
RICARDO ARIAS (Kolumbien / USA)
»Miscelánea en General: Hevea brasilensis« (2000)
Stück für CD-Spieler und verstärkte Objekte
»Gummi – Boom: Inflatable Music« (2000)
mit Axel Dörner (Trompete) und Ricardo Arias (Gummiballons)
OMID BÜRGIN (Schweiz / Brasilien)
»Xingú« mit Omid Bürgin (tape operator), Werner Durand (selbstgebaute Blasinstrumente), Arik Hayut (selbstgebaute Perkussions- und Blasinstrumente), Sebastian Hilken (präpariertes E-Cello)

16.09. – 01.10.2000

Klanginstallationen ganztägig zugänglich für alle Besucher des Hauses
DENISE GARCIA (Brasilien)
»Um dia feito d´agua – Ein Tag aus Wasser gemacht«
LIVIO TRAGTENBERG (Brasilien)
»Amazonia in Loop« (1999)
IGOR LINTZ MAUÉS (Brasilien / Wien)
»Voz do Guarani«

Dieser Post ist auch verfügbar auf: Englisch

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