Bang On A Can All-Stars

23.04.1998
Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof

mit „Music for Airports“ von Brian Eno (deutsche Erstaufführung)
zum ersten Mal live in der Bearbeitung von Michael Gordon, David Lang, Julia Wolfe und Evan Ziporyn
Glenn Branca „Movement Within“
Arnold Dreyblatt „Escalator“
Julia Wolfe „Beliving“
David Lang „Cheating, Lying, Stealing“

Die Bang On A Can All-Stars (New York), die nach den Worten eines Kritikers der New York Times die Energie und die Wucht einer Rockband mit der Präzision und der Klarheit eines Kammermusikensembles verbinden, gingen aus dem seit 1987 alljährlich in New York stattfindenden Bang On A Can Festival hervor. Dieses Festival, als Alternative ins Leben gerufen durch eine Gruppe von Musikern und Komponisten, die sich weder in der Uptown-Szene akademischer Neuer Musik noch in der teilweise ebenso prätentiösen und uniformierten Downtown-Szene aufgehoben fühlten, hat sich inzwischen zu einer der wichtigsten Plattformen für grenzüberschreitende, die Einordnung in gängige Kategorien verweigernde neue und neueste Musik entwickelt; so wurden mittlerweile mehr als 40 Kompositionsaufträge durch das Festival vergeben.
Die Bang On A Can All-Stars, die seit 1992 eine eigene Konzertreihe innerhalb des Festivals durchführen, haben seither sowohl nationale als internationale Reputation als erstrangiges und wegweisendes Ensemble auf diesem Feld zeitgenössischer Musik erlangt. Sie gastierten auf wichtigen Festivals, tourten in den USA, Europa, Neuseeland und Australien und veröffentlichten eine Reihe von CDs, deren jüngste mit Brian Enos Music for Airports soeben auf Point Music erschienen ist.

Cheating, Lying, Stealing von David Lang eröffnet das Programm des Abends. Lang, der gemeinsam mit Julia Wolfe und Michael Gordon die künstlerische Leitung des Ensembles innehat, bezieht sich mit seinem Stück in ironischer Weise auf eine Attitüde, die er bei vielen Komponisten klassischer Musik zu beobachten meint: diese versuchen, etwas zum Ausdruck zu bringen, auf das sie stolz sind, oder auch etwas, das sie an sich selbst mögen und schätzen: schöne Melodien, komplexe Strukturen, positive (Charakter-)Eigenschaften – sieh her, wie gut ich bin! David Lang, gegen alle antrainierten Verhaltensweisen und Erwartungen angehend, setzt dagegen: hier ist ein Stück, das zeigt, wie schlecht ich bin…

Von Julia Wolfe stammt das Stück Believing. Die Komposition, deren Titel sich auf eine Textzeile aus einem Lied John Lennons bezieht, wurde für die Bang On A Can All-Stars geschrieben und profitiert von Wolfes intimer Kenntnis der Möglichkeiten und des Sounds dieses Ensembles. Die erste Begegnung mit der Musik Julia Wolfes geht bereits auf das Jahr 1987 zurück, als die Freunde Guter Musik das Vorgängerensemble der Bang On A Can All-Stars, die Michael Gordon Philharmonic, nach Berlin einluden.

Glenn Brancas einzigartig wuchtige, harmonische, d.h. auf Obertonreihen basierende mikrotonale Musik für große Ensembles von elektrischen Gitarren und Keyboards markiert sowohl den Beginn als auch wichtige Etappen der Geschichte der Freunde Guter Musik: eine Aufführung seiner Symphony No.4  im Jahr 1983 war das erste von den „Freunden“ veranstaltete Konzert. Sowohl zum 5. (Symphony No.6) als auch zum 10. Jubiläum (Uraufführung des Auftragswerks Symphony No.9) standen weitere Werke Brancas auf dem Programm; anläßlich des 15-jährigen Bestehens folgt nun in europäischer Erstaufführung Glenn Brancas neueste Komposition Movement Within (uraufgeführt am 7. März 1998 in New York). Zum ersten Mal spielt ein anderes als Brancas eigenes Ensemble seine Musik auf den von ihm entwickelten Originalinstrumenten, die für dieses Konzert zum Teil gesampelt wurden.

Die Musik von Arnold Dreyblatt beruht ebenfalls auf nicht-temperierten Skalen. Meist führt er seine Werke mit dem Orchestra of Excited Strings auf, für das er eine ganze Reihe von Instrumenten neu entwickelte bzw. modifizierte. Auch Escalator, das Dreyblatt 1988 als Duett mit dem belgischen Perkussionisten Pierre Berthet konzipierte, wurde im Lauf der Zeit in verschiedenen Transformationen vom Orchestra of Excited Strings aufgeführt. Die eigens für die Bang On A Can All-Stars komponierte und instrumentierte Version von Escalator basiert auf repetitiven rhythmischen Patterns, die von Tonaufnahmen funktionsgestörter Fahrstühle abgeleitet sind. Arnold Dreyblatt ist den Freunden Guter Musik seit langem verbunden: beginnend mit einem ersten Konzert in kleiner Besetzung im Jahr 1984 stellten sie mehrfach Werke von ihm in Berlin vor.

„Music for Airports“ von Brian Eno aus dem Jahr 1978 mit dem Übertitel Ambient 1 ist – in einer Bearbeitung der künstlerischen Leiter der Bang On A Can All-Stars – zum ersten Mal in einer instrumentalen Live-Aufführung zu erleben. Mit dieser hypnotischen, traumhaften und intensiven Komposition, die vor 20 Jahren als Schallplatte veröffentlicht wurde, eröffnete Eno neue Perspektiven auf das Verhältnis der Musik zu ihrer Umgebung und auf die Art, wie wir uns in unserem Alltag zu ihr in Beziehung setzen. Attraktiv und beiläufig zugleich, zielt diese Musik auf die genaue Balance zwischen Aufmerksamkeit und Ablenkung des Hörers. Music for Airports bildete den Ausgangspunkt und zugleich die gültige Definition eines ganzen Genres, das heute unter dem von Eno geprägten Namen Ambient Music die Plattenregale füllt. Die Bang On A Can All-Stars unternehmen nun den frappierenden und überzeugenden Versuch, dieses ursprünglich im Studio mittels Tonbandmanipulationen produzierte Stück zu übersetzen in eine Aufführung mit Live-Instrumenten, die sich so eng wie möglich am Original orientiert und doch durch die Transformation eine neue Erfahrung dieses epochemachenden Werks ermöglicht.
1983/84 produzierten die Freunde Guter Musik die erste ‘reale’ Installation der Music for Airports vor Ort, als das Stück im Rahmen des Beiprogramms der Ausstellung von Harald Szeemann „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ vier Wochen lang über die Lautsprecheranlage des Flughafens Tegel wiedergegeben wurde. 1996 folgte eine weitere 2-wöchige Installation in der Haupthalle des Flughafens Tempelhof innerhalb des Festivals „Urbane Aboriginale XII: The British Ambience“.

In Zusammenarbeit mit Hebbel-Theater. Ermöglicht durch den Verein der Freunde der Nationalgalerie, gefördert durch die Initiative Neue Musik Berlin e.V.

Dieser Post ist auch verfügbar auf: Englisch

Comments are closed.